Heidi Reichinnek kritisiert Ministerwahl der neuen Regierung
Von Julia Bergmann | Politikredakteurin, Allgemeine Tageszeitung
9. Mai 2025 | Bonn / Chemnitz
Heidi Reichinnek, kommissarische Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, hat am Rande des Bundesparteitags in Chemnitz scharfe Kritik an der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) geäußert. Gegenüber dem Fernsehsender phoenix sagte Reichinnek am Freitag, die Auswahl der Ministerinnen und Minister sei „absolut falsch“. Ihrer Ansicht nach hätten Personen mit engen Verbindungen zur Wirtschaft direkten Zugang zur Regierung erhalten – „normalerweise müssen die Lobbyisten wenigstens durch die Hintertür kommen, jetzt sind sie direkt mit in der Regierung“, so Reichinnek wörtlich.
Die Kritik richtet sich insbesondere gegen mehrere Neubesetzungen im Kabinett, die als wirtschaftsnah gelten. Während Namen und Positionen im Interview nicht konkret genannt wurden, sorgten bereits im Vorfeld der Regierungsbildung einige Personalentscheidungen für Kontroversen – etwa die Ernennung eines ehemaligen Verbandschefs der Automobilindustrie zum Wirtschaftsminister.
Doch trotz der deutlichen Worte gegenüber der neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD zeigte sich Reichinnek in einem zentralen Punkt offen für Zusammenarbeit: Bei möglichen Grundgesetzänderungen, insbesondere im Hinblick auf die sogenannte Schuldenbremse, sei Die Linke gesprächsbereit. „Wir sind dazu bereit, gerade auch die Schuldenbremse zu reformieren, damit Kommunen endlich das Geld bekommen, das sie dringend brauchen – beispielsweise für den ÖPNV, für die Krankenhäuser, aber auch für die Bildung“, erklärte sie.
Die Schuldenbremse, die seit 2009 im Grundgesetz verankert ist, beschränkt die strukturelle Neuverschuldung von Bund und Ländern. In jüngster Zeit wird sie jedoch zunehmend als Hemmnis für notwendige Investitionen in öffentliche Infrastruktur betrachtet. Auch Ökonomen wie Professor Dr. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordern seit Jahren eine Reform: „Ohne eine Reform der Schuldenbremse droht Deutschland in zentralen Bereichen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung weiter zurückzufallen.“
Die Äußerungen Reichinneks markieren einen Balanceakt zwischen Oppositionshaltung und politischer Realpolitik. Zwar beharrt Die Linke weiterhin auf ihren sozialpolitischen Grundpositionen, signalisiert aber punktuelle Kompromissbereitschaft, wenn konkrete Verbesserungen für breite Bevölkerungsschichten erreichbar erscheinen. „Es gibt für uns klare rote Haltelinien“, betonte Reichinnek, „aber innerhalb dieses Rahmens wollen wir das Beste für die Menschen erreichen.“
Das vollständige Interview mit Heidi Reichinnek soll laut phoenix in Kürze auf www.phoenix.de veröffentlicht werden. Die Aussagen dürften auch innerparteilich diskutiert werden, denn Die Linke steht nach mehreren Wahlniederlagen unter Druck, sich neu zu positionieren – zwischen klarer Opposition und möglicher Regierungsbeteiligung in Bundesländern.
Mit Blick auf die kommenden Monate bleibt abzuwarten, ob die neue Bundesregierung auf das Kooperationsangebot der Linken bei der Schuldenbremse eingeht. In der Vergangenheit war die CDU strikt gegen Änderungen. Doch angesichts wachsender Finanzierungsprobleme in vielen Kommunen könnte sich auch innerhalb der Union ein Umdenken abzeichnen – vor allem, wenn der gesellschaftliche Druck weiter wächst.